2005 • H. 39/'November 2005 • ISBN 978-3-89129-544-1 • ISSN 0933-8721
    154 S., kt.; Jahres-Abonnement (2 Hefte): Inland EUR 24,- · EU-Länder EUR 29,50 · Nicht-EU-Länder: Landweg EUR 28,-; Luftpost EUR 35,- (jeweils incl. Porto), Einzelheft: EUR 
    16,-
    
    
    VORBEMERKUNG DER HERAUSGEBER:
    Zwei bedeutende chinesische Autoren sind verstorben, seit 
    wir unser letztes HEFT herausbrachten. Beide haben, ganz im konfuzianischen 
    Sinne, versucht, nicht nur beispielhaft zu schreiben, sondern auch 
    beispielhaft zu leben, dem Gemeinwohl verpflichtet.
    Der eine, den man wohl den Doyen der modernen 
    chinesischen Literatur nennen könnte, im hohen Alter von fast hundert 
    Jahren: Ba Jin. Mit einer Würdigung seiner Person und seines Werkes eröffnen 
    wir dieses HEFT.
    Der andere, Liu Binyan, erlag im US-amerikanischen Exil 
    einem Krebsleiden. Er galt als einer der Väter der chinesischen 
    Reportageliteratur und fühlte sich, wie Ba Jin, leidenschaftlich der 
    Überzeugung verpflichtet, daß Literatur über die soziale Wirklichkeit 
    aufklären und sie damit verändern könne. Liu, der Unbeugsame, der nach dem 
    Tian’anmen-Massaker das Vaterland verließ; Ba Jin, der zeitweise Beugsame, 
    der als einer der wenigen chinesischen Autoren bewegend Zeugnis ablegte von 
    seiner Beugsamkeit: Beide sind sie in der aktuellen literarischen Diskussion 
    fast vergessen. Ihr Werk wie ihre Person – das macht uns ihr Tod jäh bewußt 
    – stehen für eine Zeit, die mit einemmal sehr weit zurückzuliegen scheint. 
    Und wenn wir darüber erleichtert sind, so nehmen wir den Tod der beiden doch 
    gern zum Anlaß, uns ihres Verantwortungsbewußtseins zu erinnern und ihrer 
    Überzeugung, daß Literatur eine ernsthafte Sache sei.
    Leider fanden wir, als wir die Nachricht von Lius Tod 
    erfuhren, keinen Kenner, der uns einen Nachruf auf ihn geschrieben hätte. 
    Wir müssen uns damit begnügen, im Nachrichtenteil eine knappe Würdigung 
    durch Kirstin Wenk aus der Welt zu zitieren.
    Der Übersetzungsteil beginnt mit einem chinesischen 
    Langgedicht in volkstümlichen Rhythmen, einer satirischen Regieanweisung, 
    wie denn eine »normgerechte Lachgrimasse« von Karrieristen einzuüben sei. 
    Das erschien uns nicht nur in seiner Bissigkeit bemerkenswert, sondern auch 
    so hinreißend übertragen, daß wir hier einmal von unserem Grundsatz, nichts 
    anderswo bereits Publiziertes zu bringen, abweichen. Das Pseudonym des 
    Autors konnte auch der Übersetzer nicht lüften.
    Stammt dieser Text also von einem uns unbekannten 
    Dichter, so sind uns Name und Einzelheiten der Biographie des Verfassers der 
    nachfolgenden Nachtgespräche zwar verbürgt, doch kannte ihn niemand 
    in unserer Redaktion; wir vermuten, daß dieser Mandschure namens Hebengge 
    auch unseren Lesern bislang unbekannt war. Rainer Schwarz hat ihn für das 
    deutsche Publikum entdeckt. Wir stellen aus seiner Übersetzung zwei Novellen 
    vor, die unter anderem unterhaltsam zeigen, wie freimütig-amüsiert ein Thema 
    wie die Homosexualität im generell so prüden qingzeitlichen China 
    angesprochen werden konnte. Mögen diese Novellen formell und inhaltlich den 
    chinesischen klassischen Konventionen entsprechen, stoßen sie uns doch noch 
    einmal auf das interessante Phänomen, daß da durch die Jahrhunderte eine 
    gelehrte Schicht von Literaten in immer gleichen Geschichten unersättlich 
    ihre Phantasie mit der Vorstellung von Füchsinnen, bedrohlich schönen 
    Feengestalten fütterte, Erzählungen, in denen die Schwäche und Ängstlichkeit 
    der Männer von einem männlichen Autor fast wollüstig vorgeführt wird. In 
    welcher anderen Literatur der Welt ist der Held so oft eine solche Null und 
    Muttersöhnchen?
    Auch von Zheng Qingwen dürfte kaum einer der an 
    ostasiatischer Literatur Interessierten hierzulande etwas gehört haben. 
    Seine Erzählung Das dreibeinige Pferd haben wir nicht nur ausgewählt, 
    weil wir allzu lange keinen Text aus Taiwan mehr gebracht hatten, sondern 
    weil uns das Thema und seine Behandlung besonders interessant erschienen. 
    Ein Thema, das in China viele Jahre tabuisiert war: die Kollaboration mit 
    den Japanern. Wobei es Zhengs besondere Absicht und Leistung ist, diese 
    Bereitschaft zur Kollaboration in seiner Schilderung als psychologisch 
    stimmig erscheinen zu lassen und den Kollaborateur nicht in traditionell 
    chinesischer Manier als moralisch verkommen abzutun oder zu dämonisieren.
    Schließlich von Kita Morio der vierte Teil seiner 
    Erzählung In Nacht und Nebel. Der letzte Teil der Übersetzung wird 
    voraussichtlich in HEFT 40 erscheinen.
    HEFT 38 sollte schwerpunktmäßig koreanische Literatur 
    vorstellen. In diesem HEFT sieht es nach einem chinesischen Schwerpunkt aus. 
    Das war nicht so intendiert. Wir bedauern, daß uns keine Übersetzungen aus 
    dem Japanischen erreichten, daß uns mithin keine ausgewogenere Mischung von 
    japanischen und chinesischen Beiträgen möglich war. Vielleicht können wir da 
    in HEFT 40 einiges wettmachen?
    Erstmals findet sich in diesem HEFT eine Bibliographie 
    deutschsprachiger Veröffentlichungen zur koreanischen Literatur. Thorsten 
    Traulsen und Hanju Yang haben sie zusammengestellt und werden sie in den 
    nächsten HEFTEN fortführen.